„Ich will Euch nicht als Waisen zurücklassen!“ (Joh. 14,18)

Nachdem Jesus „Seinen auserwählten Aposteln durch den Heiligen Geist Seine Aufträge erteilt hatte und dann in den Himmel aufgenommen“ (Apg. 1,2) und durch eine Wolke ihren Blicken „entrückt“ (Apg. 1,10) worden war, „kehrten sie nach Jerusalem zurück von dem … Ölberg“ (Apg.1,12), „stiegen … in den Obersaal hinauf“ (Apg. 1,13) und „verharrten einmütig im Gebet zusammen mit den Frauen, zumal mit Maria, der Mutter Jesu, und mit Seinen Brüdern“ (Apg.1,14).
Die Apostelgeschichte beginnt mit der Beschreibung des Lebens der jungen Kirche, die auf die sichtbare Gegenwart ihres Meisters hier auf Erden durch dessen Himmelfahrt nunmehr verzichten musste.
War das der Beginn von Trauer, Resignation, Selbstmitleid oder Schwäche der Kirche Christi? – Überraschenderweise berichtet Lukas von diesem Abschied etwas anderes: „Und während Er sie segnete, schied Er von ihnen und fuhr in den Himmel auf. Sie fielen anbetend vor Ihm nieder. Dann kehrten sie hocherfreut nach Jerusalem zurück“ (Lk. 24,51f.).
Hocherfreut! Dieser Ausdruck von Freude überrascht angesichts des Entschwindens Jesu in Seiner sichtbaren menschlichen Gestalt vor den Augen der Apostel! Gerade deshalb sollten wir uns aber näher dieser Freude der Jünger zuwenden. „Hocherfreut“: Lukas benützt dieses Wort ganz selbstverständlich, nicht gekünstelt. Was hat den Jüngern Jesu so eine große Freude ins Herz gegeben, dass sie offenbar die Trauer vergessen haben?
Einerseits ist diese Freude zunächst einmal Ausdruck der neuen, österlichen Zeit, da die Ausweglosigkeit von Tod und Sünde durch den Sieg Jesu am Kreuz überwunden war und durch Seine Gnade auch für die Jünger ein neuer Abschnitt ihres geistlichen Lebens begonnen hatte.
Die Verwirrung der vergangenen Tage, ihre Zweifel und ihre Not, in die sie ihre scheinbare Ohnmacht angesichts der Verhaftung, der Qualen und des Todes ihres Meisters Jesus Christus gestürzt hatte, waren durch Seine glorreiche Auferstehung und Sein Erscheinen in ihrer Mitte in Hoffnung und Freude verwandelt worden! Diese Freude über das neue verklärte Leben ihres Herrn und die Erfahrung Seiner Nähe und Seiner übernatürlichen Kraft hatten ihre Herzen verändert. Die Finsternis war dem Licht eines neuen Tages gewichen. Plötzlich wuchs in ihnen wie nach einem erfrischenden Regen in der Wüste wieder ein bescheidenes Pflänzchen an übernatürlicher Erkenntnis. Es war der Beginn eines gereinigten und nun zunehmend auch starken Glaubens, verbunden mit der von nun an die Welt erfüllenden christlichen Hoffnung und durchtränkt von einer nun immer mehr in die Tiefe wachsenden Liebe zu Ihrem Herrn!
Und Christus hat bei jedem Erscheinen Seinen Aposteln und Jüngern eine so große übernatürliche Freude ins Herz gesenkt, dass ihre Herzen auch danach immer noch weiter glühten und von göttlichem Leben, himmlischem Licht und überirdischer Schönheit und Begeisterung erfüllt waren! „Brannte nicht unser Herz in uns, als Er unterwegs mit uns redete und uns die Schrift erschloss?“ (Lk. 24,32), riefen die Jünger von Emmaus aus, nachdem sie Jesus beim Brotbrechen erkannt hatten und ihnen die Augen aufgegangen waren.
Diese Freude, die Seine Jünger bei jeder Erscheinung Christi erfüllte und sich in ihrer Seele entfaltete, wurde am Himmelfahrtstag noch bestärkt durch die Offenbarung von Engeln, die ihnen erklärend und sie tröstend zuriefen: „Ihr Männer von Galiläa, was steht ihr da und schaut zum Himmel hinauf? Dieser Jesus, der von euch weg in den Himmel aufgenommen ist, wird ebenso wiederkommen, wie ihr Ihn habt zum Himmel auffahren sehen!“ (Apg.1,11).
Die Zeit nach der Himmelfahrt Christi ist also nicht eine Zeit der Trauer und der Verzweiflung, sondern eine Epoche der hoffnungsfrohen Erwartung der Wiederkunft unseres Herrn und Erlösers am Ende der Tage! Das wird den Jüngern durch die Engel ausdrücklich zugesagt und bestätigt!
Der Jünger Christi lebt in der rückblickenden Freude des Sieges seines Herrn und Heilandes und zugleich auch schon in der Freude auf die Vollendung am Ende der Zeit und auf das Wiedersehen mit Christus am Ende des irdischen Lebens! Für den Gläubigen ist der Tod nicht das Ende, sondern der Durchgang und das Tor zur endgültigen und tiefen Gemeinschaft mit Seinem Herrn, durch dessen Wunden er Heilung und die Gnade der Heiligung erfährt, wenn er Ihm in Glaube, Hoffnung und Liebe nachfolgt! Wir tragen zwar hier auf Erden noch unser Kreuz mit Christus und „wandeln noch im Glauben, nicht im Schauen. – Doch sind wir voll Zuversicht“ (2Kor. 5,7), weil wir das Wiedersehen mit unserem Herrn Jesus Christus erwarten.
Der dritte Grund, der natürlich immer auch mit den anderen Ursachen der christlichen Freude, nämlich der Auferstehung Christi und der Freude auf Seine Wiederkunft zusammenhängt, ist die Verheißung, die Jesus Christus Seinen Jüngern gemacht hat: Er werde sie „nicht als Waisen zurücklassen“ (Joh. 14,18), sondern ihnen Seinen Heiligen Geist vom Vater her senden (vgl. Joh. 14,16.26; 16,7ff.), der es ihnen ermöglicht, immer tiefer in der Gegenwart und in der Liebe Gottes leben zu können!
Er verheißt ihnen den Heiligen Geist als Tröster, als Licht und als Kraft für ihr schwaches menschliches Herz! Wie sehr ihnen die Vollendung im Heiligen Geist und damit die Vollkommenheit des Verständnisses der Offenbarung Gottes noch abgeht, zeigen die Apostel - trotz all ihrer Liebe zu Christus - nicht nur vor und während Seines irdischen Leidens und Sterbens am Kreuz, sondern auch noch nach Seiner wunderbaren Auferstehung, da Seine Belehrungen hier auf Erden sich schon dem Ende zuneigen und Er sie schon darauf vorbereitet, dass Er nun bald zum Vater heimgehe!
Noch immer wussten die Jünger nicht wirklich, selbst nach vielen Belehrungen durch Jesus auch nach Seiner Auferstehung, wie sie die Schriften wahrheitsgemäß verstehen sollten: „Herr, richtest Du in dieser Zeit das Reich für Israel wieder auf?“ (Apg. 1,6), fragen sie Ihn, als Er sie darauf vorbereitet, dass sie „jetzt nach wenigen Tagen mit Heiligem Geist getauft werden“ (Apg. 1,5) sollen.
Dieses Interesse an einem richtigen Verständnis der Pläne und des Willens Gottes war nicht falsch. Aber ihr Herz zeigte sich trotzdem noch sehr stark an irdischer Macht oder irdischem „Erfolg“ und noch wenig an der geistigen Wirklichkeit und Wirksamkeit Gottes orientiert, die sich erst demjenigen in ihrer wahren Schönheit und Bedeutung erschließt, der die Gnade des Heiligen Geistes empfangen hat!
Die Apostel bekommen von Jesus also zwar schon den Auftrag und ihre Berufung zugeteilt, Seine Zeugen zu sein bis ans Ende der Welt. Es fehlte ihnen aber noch die notwendige Stärke und Sicherheit, die letzte Reife an Erleuchtung und an himmlischer Gnade, die den Menschen ganz in die Nähe und in das Licht Gottes führt! Deshalb ist die Zeit ihrer Aussendung noch nicht gekommen, deshalb gebietet ihnen Jesus, vorläufig „Jerusalem nicht zu verlassen, sondern die Verheißung des Vaters abzuwarten“ (Apg. 1,4). Und erst nach dieser Zeit des Wartens gilt: „Ihr werdet … die Kraft des Heiligen Geistes empfangen, der auf euch herabkommt, und werdet meine Zeugen sein in Jerusalem, in ganz Judäa und Samaria, ja bis an die Grenzen der Erde!“ (Apg. 1,8).
Erst am Pfingstmorgen, als der Heilige Geist über die Jünger mit Brausen vom Himmel herabgekommen war, konnten sie sicher, erleuchtet und klar, begeistert und dennoch einfach und nüchtern die Frohbotschaft von Tod und Auferstehung Christi und von der Erlösung der Menschheit verkünden.
Die Sendung, die „Mission“ der Kirche beginnt also mit der Herabkunft des Heiligen Geistes am Pfingstfest und dauert nun an bis ans Ende der Zeit! Der Heilige Geist gibt der Kirche Stärke und Wachstum. Erst in der Kraft des Heiligen Geistes konnten die Apostel mit Vollmacht predigen und die Gnaden der Sakramente, die Christus eingesetzt und ihnen zur Spendung anvertraut hat, austeilen und so mithelfen, die Herzen der Menschen im Heiligen Geist übernatürlich zu heilen und zu heiligen.
So ist die Zeit, die mit dem Kommen Christi angebrochen war, durch das Wirken des Heiligen Geistes zu einer neuen Zeit der Gnade und der übernatürlichen Freude geworden! Zwar warten wir mit der Kirche noch auf die Wiederkunft unseres Herrn und damit auf die Vollendung unserer geschöpflichen Wirklichkeit. Aber wir haben im Geschenk des Heiligen Geistes schon das „Angeld unserer Erlösung“ (Eph. 1,14) empfangen!
Wir „wandeln zwar noch im Glauben und noch nicht im Schauen“ (2Kor. 5,7), aber wir leben dennoch in der Gnade Gottes schon als neugeborene „Kinder Gottes“ (Joh. 3,1) in der Freude und in der Liebe des Heiligen Geistes, der unsere Herzen erfüllt! „Die Liebe Gottes ist in unsere Herzen ausgegossen durch den Heiligen Geist, der uns verliehen wurde!“ (Röm. 5,5). „Ihr habt nicht den Geist der Knechtschaft empfangen, um von neuem in Furcht zu leben, sondern ihr habt den Geist der Kindschaft empfangen, in dem wir rufen: ‚Abba, Vater!‘“ (Röm. 8,15).
Als Christen in einer gottfernen Welt vergessen oder übersehen wir oft die Größe und Erhabenheit unserer Berufung! Wir haben zwar in den Sakramenten die Gaben und die Kraft des Heiligen Geistes empfangen, aber wir lassen die Gnadengaben, die uns der Heilige Geist schenken will und immer wieder neu schenkt, oft durch Nachlässigkeit oder Mangel an Liebe nicht wirklich in uns Frucht bringen! Wir wenden uns von der Liebe Gottes oft wieder allzu leichtsinnig ab und lassen unsere Herzen von den trügerischen Verführungen falscher Interessen zu vielfältigen Formen von „Götzendienst“ (im wörtlichen oder im übertragenen Sinn) hinreißen.
Der liebe Gott lässt so auch mancherlei Prüfungen über die Glieder Seiner Kirche und über die ganze Welt kommen, die durch den Leichtsinn und die Bosheit der Menschen immer wieder als Gefahr für unser Leben und für das Leben der Kirche auftauchen. Diese Prüfungen haben den Sinn, unsere Herzen aus der Schläfrigkeit und Oberflächlichkeit wieder herauszuholen, uns zum Gebet zu rufen, damit der Heilige Geist uns neu stärken und uns auch als Kirche immer wieder neu zur Wachheit und zu einem innerlich kraftvollen Leben in der Liebe Gottes führen kann!
Tragen wir also im Vertrauen auf die Gnade, die Kraft und den Trost des Heiligen Geistes unser Kreuz, aber auch das Kreuz, das uns gemeinsam als Kirche Christi auferlegt ist, dann wird es für uns und für die ganze Welt zum Heil und zum Segen, den Gott uns ja immer gerne schenkt!
Unser Herr Jesus Christus ist selbst mit dem Heiligen Geist immer bei uns und trägt unser Kreuz und das Kreuz der ganzen Kirche mit uns! „Seht, ich bin bei Euch alle Tage bis ans Ende der Welt!“ (Mt. 28,20). Das sind die letzten Worte, die Jesus am Ende des Matthäusevangeliums zu Seinen Jüngern spricht.
In diesem Sinn geht die heilige Kirche im Heiligen Geist mit Ihrem Herrn und Heiland Jesus Christus den Weg durch die Zeit! Wollte sie allein und ohne Ihn gehen, könnte sie nicht Seine Kirche sein! In der liebenden Treue zu Christus, in der sie der Heilige Geist bewahrt, stärkt und heiligt, erduldet die Kirche zwar die Bedrängnis dieser Zeit, doch die Pforten der Hölle können sie nicht überwältigen (vgl. Mt. 16,18). Mögen auch viele vom wahren Glauben abfallen, die Jünger Christi werden sich in demütigem Gebet an den Heiligen Geist wenden, damit Er sie in der Treue und in der Liebe zu Christus festige!
Schätzen wir unsere Berufung als Glieder der Kirche und des Neuen Bundes hoch ein, danken wir für die vielfältigen Gnaden, die uns Gott schon geschenkt hat und noch schenken will, und vereinigen wir uns im Heiligen Geist um unseren Heiland und Herrn Jesus Christus, zusammen mit allen Engeln und Heiligen, besonders mit Maria, der Mutter Gottes, die auch als unsere Mutter bei ihrem Sohn für uns eintritt, damit wir in der Liebe Gottes immer mehr wachsen und als Kirche Christi diese Liebe und auch das Geschenk des wahren Glaubens so auch an andere weitergeben können!

Thomas Ehrenberger

 

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